Interview mit Prof. Gesine Grande, Präsidentin der BTU Cottbus-Senftenberg. Foto © Kirsten Nijhof
„Jetzt kommt es drauf an!“
Nach zwei Jahren Hängepartie infolge des Abzugs des ehemaligen BTU-Präsidenten Jörg Steinbach ins Wirtschaftsministerium des Landes Brandenburg hat die Lausitzer Universität zum Start dieses Wintersemesters wieder eine reguläre Präsidentin. Prof. Gesine Grande ist Psychologin und Gesundheitswissenschaftlerin und kommt aus Leipzig in die Lausitz. Dort zeichnete sie zuvor von 2014 bis 2019 als Rektorin der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur für diverse Reformen verantwortlich. Mit ihr erhält die Lausitz das Novum der einzigen ostdeutschen Präsidentin im bundesweiten Hochschulbetrieb. Fürs lauter.campus nahm sie sich bereits kurz nach ihrem Amtsantritt zum Oktoberbeginn Zeit für ein ausführliches Gespräch:
Sie haben Ihre Wurzeln in der Psychologie und Psychotherapie – von welchen Problemen erzählt Ihnen die Patientin BTU auf dem imaginären roten Sofa?
Ich würde sagen: Sie will überhaupt nicht mehr auf das Sofa und da gehört sie auch nicht hin. Die BTU will sich vor allem auf den Weg machen zu einer Universität mit Strahlkraft, mit eigener Dynamik und neuer Lust am Gestalten.
Sie kommen in unruhigen Zeiten: Campuserweiterung, Hochschulentwicklungsplan, Strukturentwicklung ringsum, Studienstart in Coronaviruszeiten – was fordert Sie derzeit am meisten?
Alles zugleich! Und das mit gleicher Priorität und gleicher Dringlichkeit. Wir können hier keine Rangfolge einführen und uns auch nicht in Ruhe sammeln, bevor wir starten. Wir müssen es schaffen, jetzt parallel in all diese riesigen Projekte einzusteigen. Jetzt kommt es drauf an!
Wird die Arbeit an den riesigen Zukunftsprojekten in Kompetenzteams geclustert?
So einfach ist das nicht, zumal auch das gesamte Präsidium neu gewählt werden muss. Es wird zukünftig einen hauptamtlichen Vizepräsidenten für die Universitätsentwicklung geben, wir schaffen also ein eigenes Ressort und ein dazugehöriges Team von Mitarbeitern. Auch daran erkennen Sie, dass mir die Tragweite der Vorhaben völlig bewusst ist, an denen ich jetzt arbeite. Wenn die Mannschaft aufgestellt ist, können wir die Eckpunkte für die zukünftige Universitätsentwicklung erarbeiten und Schritt für Schritt in die Umsetzung gehen.
In Ihren Ankündigungen haben Sie eine dringend notwendige Verbesserung des Hochschul-Marketings betont, geht es um die Gewinnung Studierender oder um die Vermarktung des wissenschaftlichen Know-hows?
Vor 20 Jahren war es despektierlich, wenn eine Uni Werbung für sich gemacht hat. Man ging davon aus, dass man für sich selbst steht. Die Zeiten haben sich extrem geändert. Wir stehen in einem knallharten Wettbewerb: um Köpfe, um Studierende, um Drittmittel, um Wirtschaftspartner, um alles. Man kommt nicht mehr umhin, sich klar zu positionieren und das Marketing ernst zu nehmen. Hier geht es erst einmal um eine Marketingstrategie: Was ist eigentlich unser Markenkern? Wie möchten wir gern wahrgenommen werden? Die BTU hat durch ihre wechselvolle Geschichte viel nach innen geschaut, und auch viel gezweifelt. Das Bild nach außen ist davon eingefärbt. Dabei wird sie von engagierten Menschen und spannenden Themen getragen. Die Studierenden kommen hier schnell an, fühlen sich wohl und schätzen kurze Wege und ganz enge Verbindungen zu den Lehrkräften. Das „Produkt“ BTU ist viel besser als sein aktueller Ruf und wir müssen es nun schaffen, das in passende Botschaften zu packen. Dabei kann man nicht zwischen Studierenden und Forschungslandschaft trennen. Eine Universität kann nur strahlen, wenn sie auch wissenschaftlich spannende Themen bearbeitet – auch wenn wir sehr schnell mit einem neuen Studierendenmarketing als Teilstrategie starten werden.
Als zweiten Aspekt haben Sie eine Stärkung des universitären Charakters angekündigt, was verbinden Sie damit?
Infolge der Zusammenführung der beiden Vorgängerinstitutionen wurden viele politisch notwendige Kompromisse geschlossen. Die BTU Cottbus Senftenberg ist eine Universität, die weiterhin fachhochschulische Identität pflegen soll. Sieben Jahre nach der Neuaufstellung braucht es eine Prüfung, ob diese Idee sich bewährt hat. Die BTU ist eine Universität und unser universitärer Status lässt sich mit der Anwendungsorientierung und regionalen Verwurzelung in der Wirtschaft genauso vereinbaren wie mit wissenschaftlichen Themen im internationalen Wettbewerb mit anderen Universitäten. Die aktuelle Zweiklassengesellschaft halte ich auf diesem Weg für hinderlich. Es kostet unglaublich viel Energie, Statusunterschiede zu legitimieren und zu kompensieren. Wir haben kompetente Kolleginnen und Kollegen, die sind habilitiert, haben aber kein Promotionsrecht, die werben DFG-Projekte ein und lehren doppelt so viel wie andere – nur, weil sie auf einer fachhochschulischen Professur sitzen. Wir verlieren dabei nicht nur Energie, sondern auch kluge Köpfe – wir brauchen hier eine andere Perspektive. Gleiches gilt für die Lehre, bei der teils gleiche Studiengänge als universitäre, fachhochschulische und duale Version angeboten werden – das wirkt auf Studieninteressenten wenig überzeugend und verschenkt riesige Potenziale der BTU.
Im Getriebe der BTU knirscht es seit der Fusion immer wieder, einige Lehrstühle monieren eine aufgeblähte Verwaltung bei spärlicher Ausstattung im Wissenschaftspersonal, sehen Sie hier Veränderungsbedarf?
Man hätte nach der Fusion ein Change-Management starten können, um zu schauen, wo man Synergien generieren und Doppelstrukturen abbauen kann. Die Fusion war aber ein sehr schwieriger und emotionaler Prozess, deshalb wurde bislang darauf verzichtet. Jetzt ist es an der Zeit, auch mithilfe externer Expertise eine Analyse der Ausgangssituation, der Potenziale, der Stärken und der Schwächen anzugehen und in der Organisationsentwicklung konsequent voranzukommen.
In der Wirtschaft wurde immer wieder eine Exzellenz der Universität gewünscht, meist im Bereich Energie und Umwelt, aktuell auch im Bereich der Mobilität – wie sehen Sie den Spagat zwischen aktueller Breite und klaren Alleinstellungsmerkmalen?
Eine Universität braucht eine gewisse Breite als Basis für Wissenschaft und Lehre. Und wir haben auch eine Verantwortung für den Fachkräftebedarf in der Region. Dennoch müssen wir uns künftig stärker fokussieren. Einige große Themen gibt es hier schon immer, die müssen wir nicht neu erfinden. Dazu zähle ich die Expertise in Energiethemen. Hier habe ich die Vision, dass wir DAS Energieforschungszentrum in Deutschland werden können. Parallel haben sich auch andere Bereiche stark entwickelt. Die Umweltforschung, die Mikrosensorik, der Leichtbau: Bereiche, die sich gerade mit einer eindrucksvollen Dynamik entwickeln, gemeinsam mit einem Netzwerk an wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und regionalen Partnern. Wir müssen einfach größer denken, um wettbewerbsfähig zu sein und in einem Thema maßgeblich die Forschung mitzubestimmen.
In den vergangenen Jahren hat die Dynamik des Lausitzer Wandels viele Themensetzungen für die Region verändert, wird sich das im neuen Hochschulentwicklungsplan für die BTU widerspiegeln?
Unser neuer Hochschulentwicklungsplan basiert auf den Fakultätsentwicklungsplänen. Die Fakultäten machen jetzt ein Konzept, wie sie sich in den nächsten Jahren weiterentwickeln wollen. Natürlich geht’s dort auch um Themen, die mit der Strukturentwicklung zu tun haben. Durch den Strukturwandel übernehmen wir Verantwortung für sehr große Vorhaben – da geht es um viele Hundert Millionen Euro. Projekte dieser Größenordnung mit Partnern wie den Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und den Fraunhofer-Instituten bekommen fast automatisch eine Relevanz im Themenspektrum des Hochschulentwicklungsplans. Die strategische Aufgabe ist, einen Bauchladen von diversen Einzelaktivitäten zu verhindern, und stattdessen fakultäts- und disziplinübergreifend Schwerpunkte oder Cluster aufzubauen, die sich dann nachhaltig positiv weiterentwickeln. Wir haben schon Projekte im Sofortprogramm wie den iCampus, das 3DLAB oder ein Vorhaben zur Entwicklung von hybriden Triebwerken und wir haben große Vorhaben für die Zukunft: den Aufbau eines Energie-Innovationszentrums, eines Zentrums für die Erforschung und Entwicklung von hybrid-elektrischen Antrieben, eines Zentrums für nachhaltige Landschaftsentwicklung oder das Lausitzer Zentrums für Künstliche Intelligenz, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese Chancen werden wir zur Profilierung der BTU nutzen.
Sie müssten den neuen Hochschulentwicklungsplan ja eigentlich noch in diesem Jahr vorlegen. Ist das zu schaffen?
Nein, das hat auch keinen Sinn. Wir müssen uns zuerst mit den Fakultäten und Bereichen, den Dekanen und dem Senat zusammensetzen und in einen Abstimmungs- und Arbeitsprozess kommen. Das Ziel ist, den Hochschulentwicklungsplan im kommenden Sommer im Konsens zu verabschieden und dann auch als gemeinsame Planungsgrundlage zu nutzen.
Reformen sind Ihnen nicht neu, sie prägten zuvor Ihre Zeit als Leiterin der HWTK Leipzig. Hilft Ihnen dieses Erfahrungswissen bei den nun anstehenden Prozessen an der BTU?
Ja. Was ich gelernt habe: Man muss strategisch denken und in der richtigen Reihenfolge handeln. Man braucht eine Vision, die gemeinsam entwickelt und in eine Strategie überführt wird. Und erst dann darf man in die Kleinteiligkeit der Ziele und Aktionen gehen. Vor allem müssen alle Beteiligten mitgenommen werden, die sich einbringen wollen. Das ist für mich absolut entscheidend. Viele Menschen an der BTU wollen eine Veränderung. Es gibt aber auch ein Beharrungsvermögen, das nicht zu unterschätzen ist. Universitäten stehen einerseits für Wissenschaft, Entwicklungen und Freiheiten, andererseits gibt es kaum konservativere Organisationen (lacht).
Der Cottbuser Zentralcampus soll sich zu einem kompakten, smarten Campus entwickeln – was bedeutet das für die weiteren Standorte im Cottbuser Ortsteil Sachsendorf und in Senftenberg?
Es ist entscheidend, dass jeder dieser Standorte noch mehr als bisher sein Profil weiterentwickeln kann. Insbesondere Senftenberg braucht eine klare Zukunftsvision, um wieder zu wachsen. Senftenberg soll ein stolzer Standort sein, hier sehe ich in Bezug zum Gesundheitscampus spannende Entwicklungsperspektiven. Am Campus Sachsendorf mit seinem Fokus auf sozialer Arbeit und Musikwissenschaften fühlen sich die Studierenden sehr wohl. Und wenn Sie sich Unis in Berlin anschauen, dann ist die Distanz zwischen dem Zentralcampus und dem Campus Sachsendorf nichts, worüber man ernsthaft reden muss.
Die BTU soll die Lausitzer Wirtschaft durch Innovationen und Technologietransfer maßgeblich stärken, ist sie nach Jahren chronischer Unterfinanzierung dafür gut aufgestellt?
Diese Frage hat hier viel zu lange die Diskussionen dominiert. Wir müssen die Realitäten akzeptieren und unsere innere Planung an das vorhandene Budget anpassen. Persönlich erlebe ich aktuell eine große politische Unterstützung für die BTU. Dass wir für den nächsten Doppelhaushalt noch einmal 5 Millionen on top erhalten, in einer äußerst prekären Haushaltssituation im Umfeld von Corona und sinkenden Steuereinnahmen, sehe ich als ein starkes Zeichen. Sicher brauchen wir auch in den nächsten Jahren zusätzliche finanzielle Mittel, denn die Rolle als Innovationsmotor der Lausitz und die Integration und Koordinierung der Strukturwandelprojekte haben eine Dimension, die viele unserer Abläufe und Ressourcen im Moment überfordern würde. Wir brauchen auch so etwas wie einen zusätzlichen Innovationsfond, damit wir Organisationsentwicklung und Reformen anpacken, Anschubfinanzierungen leisten und Strukturmaßnahmen koordinieren können.
Die BTU ist jüngst Europa-Universität geworden, was bedeutet das für den Hochschulbetrieb, was für die Reputation der Universität?
Die BTU reiht sich mit diesem Sommer als Teil einer European University zwischen deutschen Elite-Unis ein. Insgesamt sind nur 20 Hochschul-einrichtungen aus Deutschland in diesem Jahr ausgewählt worden, unsere BTU als Teil des Konsortiums EUNICE mit sechs weiteren Partner-Universitäten aus sechs verschiedenen EU-Staaten. Die Allianz wird nicht nur mit Geld gefördert, sie stärkt auch den internationalen Austausch und die Reputation der BTU.
Die Erwartungen an Sie sind groß, was erwarten Sie umgekehrt von Studierenden, Mitarbeitern und den Lausitzern?
Ich wünsche mir Mut und einen von allen getragenen Spirit, gemeinsam etwas zu wagen. Es braucht einen positiven Schub. Alle Teile der BTU müssen mehr investieren als die Routine. Sonst schaffen wir das nicht. Alle können sich beteiligen, auch im Dissens. Konstruktiver Widerspruch kann uns nur weiterbringen.
Wir danken für das Gespräch!